Rostocker Ratsviertel mit Bürgermeisterstraßen
Eine originelle Stadterweiterung der 1920er Jahre
Text: Hans-Heinrich Schimler, Fotos: Hans-Heinrich Schimler, Berthold Brinkmann, Archiv Dr. Hartmut Gill

Die Rostocker Stadtväter vergangener Zeiten hatten in Sachen Stadtentwicklung interessante Ideen. Ein Beispiel dafür ist der Ratsplatz mit den angrenzenden Straßen.
Der Rat war in den 1920er Jahren ein beratendes, beschließendes und vollziehendes Gremium in der jungen Demokratie. Bei der Namensgebung wurde ein Bezug zur Stadtregierung, die seinerzeit Rat hieß, hergestellt. Sie ist mit den umliegenden Straßen in Zusammenhang zu bringen, die die Namen Rostocker Bürgermeister tragen sollten.

1921 wurden die Straßennamen für das kleine Viertel vergeben, das in den darauf folgenden Jahren nach und nach entstand. Im Mittelpunkt stand der Ratsplatz. Von ihm gingen drei Straßen ab. Namensgeber waren die Bürgermeister Adolf  Becker, Albert Clement und Johann Paschen. Während Albert Clement 1914 ins Amt kam, waren Adolf Becker und Johann Paschen bereits seit 1907 Bürgermeister. Alle drei schieden 1919 aus dieser Funktion aus. Ihre Verdienste um die Stadt war der Anlass für die Ehrung.

Adolf Becker wurde am 30. Juli 1848 in Rostock geboren. Er verbrachte seine Kindheit in der Stadt und studierte nach der Schulzeit an der hiesigen Universität. 1880 wurde er zum Senator gewählt und in das Ratskollegium  eingeführt. 1893 wurde er Ratssyndicus. 1898 war er als Senator wiederum im Ratskollegium. Von 1907 bis 1919 fungierte er schließlich als Bürgermeister.  
Becker trat vor allem als Förderer des Vereins für Rostocker Altertümer sowie des Kunst- und Konzertvereins hervor. Als städtischer Beirat gehörte er auch der Theaterdeputation an. 1919 wurde ihm anlässlich der 500-Jahrfeier der Universität die Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät verliehen. Sein Leben vollendete sich am 18. April 1922.
Die Adolf-Becker-Straße wurde um 1925 bebaut. Der Rostocker Architekt Walter Butzek lieferte Baupläne für Häuser in der Straße und wohnte dort auch zeitweise.

Albert Clement, geboren am 12. April 1849,  kam aus einer Rostocker Unternehmerfamilie. Nach dem Besuch der Großen Stadtschule erlernte er den Kaufmannsberuf und führte das väterliche Geschäft. Von 1893 bis 1907 war  er Senator und von 1907 bis 1919 Bürgermeister. Er mühte sich um die Entwicklung des Rostocker Gesundheitswesens, war Vorsitzender der Rostocker Kaufmannschaft und zwanzig Jahre lang Präsident der Mecklenburgischen Handelskammer. Von 1914 bis 1928 war er auch Vorsitzender des Aufsichtsrates der Mahn & Ohlerich Bierbrauerei AG. Clement starb am 13. Januar 1928.
Die Clementstraße wurde 1927 zunächst mit vier Häusern bebaut. Ende der 1930er Jahre kamen auf der gegenüberliegenden Straßenseite zwei Häuser mit den Nummern 5 und 6 dazu. Im Haus mit der Nummer 6 betrieb dort Helmut Lange eine Milchhandlung. Im Adressbuch von 1943 wurde er als Milchverteiler geführt. Im letzten Rostocker Adressbuch hieß es dann wieder Milchhandlung. Helmut Lange war damals auch Hauseigner. Allerdings wurde nur er genannt. Mieter gab es nicht. Bei Bombenangriffen wurden die Häuser 3, 4 und 5 zerstört. Das Haus Nummer 6 war ebenfalls stark in Mitleidenschaft gezogen, wurde später aber wieder aufgebaut.

Johann Paschen dagegen war gebürtiger Schweriner und kam am 27. Oktober 1852 zur Welt. Er ließ sich nach dem Abitur im Jahre 1872 an der Rostocker Großen Stadtschule und dem Studium an der Universität 1876 als Advokat nieder. 1879 wurde er Richter und 1883 Senator. Bürgermeister war er vom 19. Oktober 1914 bis zum 1. Juli 1919. Er starb am 27. Mai 1927.
Die Paschenstraße wurde zwischen 1926 und 1930 bebaut.

Magnus Maßmann kam am 22. Oktober 1835 in Rostock zur Welt. Der Sohn des Rechtsanwalts Christian Maßmann studierte an der Rostocker Universität Rechtswissenschaften. Er wurde wie sein Vater Rechtsanwalt. Am 18. April 1846 wurde er zum Senator der Stadt Rostock gewählt und war von 1846 bis 1872 Richter beim Kriminalgericht und Assessor beim Polizeiamt. 1889 wurde er zum Bürgermeister gewählt und blieb bis 1914 im Amt. Im gleichen Jahr wurde ihm die Ehrenbürgerschaft der Stadt Rostock verliehen. Magnus Maßmann starb am 20. September 1915..

Die Maßmannstraße hat weiter zurückliegende Geschichte aufzuweisen. Schon vor 1904 wurde sie Neue Lindenstraße und 1904 Lindenallee benannt. 1914 erhielt sie den Namen Bürgermeister-Maßmann-Straße, der 1921 in Maßmannstraße umgewandelt wurde. Damit lehnte sie sich an die Straßenbenennungen des Bürgermeisterviertels an. 1953 wurde die Straße zwischenzeitlich in Wladimir-Iljitsch-Lenin-Allee geändert. 1991 erhielt sie ihren vorherigen Namen Maßmannstraße zurück. Bebaut wurde die Straße zwischen 1914 und 1930.

Zu benennen sind auch Gewerbetreibende, die sich im Ratsviertel niederließen. Auskunft geben die Rostocker Adressbücher. So wird unter Adresse Ratsplatz 2 der Händler Curt Millahn genannt, der ein Geschäft betrieb, in dem er Kolonialwaren, Tabak, Wein und Spirituosen anbot. Der Friseur Gustav Minck war am Ratsplatz 3 zu finden.

Die Clementstraße wurde zunächst nur mit vier Häusern bebaut. Erst im Adressbuch von 1939 sind auch die Hausnummern 5 und 6 genannt. Und in der Hausnummer 6 wird erstmals die Milchhandlung Helmut Lange gemeldet. 1943 hieß das Geschäft Milchverteiler. Im letzten Adressbuch von 1949/50 war es dann wieder eine Milchhandlung. Helmut Lange in der Nummer 6 war als Hauseigner der einzige gemeldete. Mieter gab es nicht.

Von Kriegsschäden betroffen, blieb das Viertel in seiner Substanz erhalten. Die Häuser Clementstraße 3, 4 und 5 wurden durch Bomben zerstört. Umliegende Häuser, darunter auch die Nummer 6, erlitten große Schäden.

Ein einstiger Bewohner, der das Viertel als Kind erlebte, erzählt aus seinen Erinnerungen: „Von 1952 bis 1959 hat meine Familie in der Paschenstraße 1 gewohnt. Am Ratsplatz war unser Frisör, der auch unsere kleinen Wunden behandelte und es gab einen Laden, der von der Brauerei mit einem Pferdewagen beliefert wurde. Unter dem Wagen hatte er Stangeneis. Da haben wir uns immer Stücke von geklaut.“ Spielplatz der Kinder waren die zerstörten Grundstücke in der Clementstraße.

 

Ratsplatz und Clementstraße (Foto: Berthold Brinkmann) Paschenstraße und Clementstraße (Foto: Berthold Brinkmann) Maßmannstraße, Adolf-Becker-Straße, Ratsplatz und Paschenstraße (Foto: Berthold Brinkmann) Maßmannstraße, Adolf-Becker-Straße, Ratsplatz und Paschenstraße (Foto: Berthold Brinkmann) Ratsplatz und Adolf-Becker-Straße (Foto: Hans-Heinrich Schimler) Ratsplatz Ecke Paschenstraße (Foto: Hans-Heinrich Schimler) Clementstraße (Foto: Hans-Heinrich Schimler) Paschenstraße (Foto: Hans-Heinrich Schimler) Ratsplatz Ecke Paschenstraße (Foto: Hans-Heinrich Schimler) Paschenstraße (Foto: Hans-Heinrich Schimler) Ratsplatz und Clementstraße 1944 (Foto: Erich Anders, Sammlung Hartmut Gill) Adolf-Becker-Straße 1944 (Foto: Erich Anders, Sammlung Hartmut Gill) Adolf-Becker-Straße 1944 (Foto: Erich Anders, Sammlung Hartmut Gill) Clementstraße 1944 (Foto: Erich Anders, Sammlung Hartmut Gill) Maßmannstraße 1944 (Foto: Erich Anders, Sammlung Hartmut Gill) jquery photo viewerby VisualLightBox.com v6.1