HISTORISCHE ROSTOCKER BAUWERKE
Bleicherstraße 1 (Teil des früheren Elektrizitätswerkes)
Beitrag mit freundlicher Genehmigung der Autoren aus VERSCHWUNDEN - VERGESSEN - BEWAHRT?. Denkmale und Erbe der Rostocker Technikgeschichte, 1995, von Birgit Kammer/Ingo Sens. Fotos: Archiv E.ON edis AG mit Sitz in Fürstenwalde, Berth Brinkmann uns Sammlung Detlev Preuß
Das Jahr 1900 gilt als Schlüsseljahr in der Geschichte der Elektrizitätsversorgung Rostocks. Am 1. Dezember dieses Jahres ging das erste städtische Elektrizitätswerk ans Netz: Dies ist der eigentliche Beginn einer öffentlichen Elektrizitätsversorgung in Rostock. Doch schon einige Jahre vorher wurde der elektrische Strom gewerblich genutzt. Sogenannte Blockstationen - kleine, lokale Kraftanlagen zur Versorgung weniger Abnehmer (meist durch eine Dampfmaschine und/oder einen Gasmotor angetrieben) - in Händen privater Unternehmer, können seit den 1880er Jahren an verschiedenen Orten der Stadt nachgewiesen werden. Leider sind uns davon außer schriftlichen keine weiteren Zeugnisse überliefert. - Geht man davon aus, daß eine Reihe ähnlich großer Städte in Mecklenburg und Vorpommern etwa zur gleichen Zeit eine öffentliche Elektrizitätsversorgung errichteten (Stralsund 1900, Greifswald 1903, Wismar und Schwerin 1904, Neubrandenburg 1909/10), dann läßt sich feststellen, daß Rostock im »Trend« lag. In den 1890er Jahren begann eine umfassendere Diskussion über die Möglichkeiten einer städtischen »Electricitäts-Centrale« in Rostock: in einer »Vorlage an E.E. Rath der Stadt Rostock betr. Errichtung einer Centralanlage für elektrische Beleuchtung und Kraftübertragung. Eingereicht von der Generalvertretung der Deutschen Elektricitätswerke zu Aachen für die östl. pr. Provinzen Erfurth & Sinell« aus dem Jahre 1890 wird der Stadt der Bau eines Elektrizitätswerkes dringlichst angeraten, um den Zug der Zeit nicht zu verpassen. Um 1895/96 artikulierten vor allem Handel- und Gewerbetreibende ihr Interesse nach einer öffentlichen Versorgung mit einer modernen Licht- und Kraftquelle, d.h. nach »Electricität«, immer lauter. Da die vorhandenen Blockstationen überfordert waren, konnte nur ein großes Elektrizitätswerk, das elektrischen Strom im gewünschten Umfang zu liefern in der Lage war, dieses Bedürfnis befriedigen. Mit einiger Verzögerung wurden dann Rostocks Stadtväter aktiv. Um die notwendigen Vorarbeiten sachkundig ausführen zu können, berief die Bürgerschaft eine Kommission, das sog. »Kommitte zur Errichtung eines städtischen Elektrizitätswerkes«. Nach ausgiebigen Recherchen zu technischen und ökonomischen Fragen forderte man Anfang des Jahres 1898 bekannte Firmen der elektrotechnischen Branche auf, Entwürfe für ein Städtisches Elektrizitätswerk in Rostock auszuarbeiten.
Das Städtische Elektrizitätswerk in der Bleicherstraße
1899 waren die Würfel endlich gefallen: Am 1. Dezember wurde ein Vertrag mit der AEG, Berlin über die Errichtung und Ausstattung eines Elektrizitätswerkes in Rostock geschlossen. Die AEG lieferte die elektrotechnische Ausrüstung, wie Dynamo, Kabel- und Freileitungsnetz, Schaltanlage und Zähler. Antriebsaggregat, Kühlwasseranlage und Laufkrahn wurden von der MAN, Augsburg/Nürnberg bezogen. Die Gesamtleitung übernahm Prof. Klingenberg, sein Stellvertreter war der Ingenieur W. Pieritz, der dann auch der erste Betriebsleiter wurde. Die bauliche Leitung hatte der Rostocker Stadtbaudirektor Dehn. Im Winter 1900 erfolgte die öffentliche Ausschreibung für die Bauausführung und die Lieferungen des Baumaterials.
»Als Bauplatz für die Centralstation wurde das an der Ecke Bleicher- und Neue Wallstraße gelegene, der Stadt gehörige Grundstück gewählt. Dasselbe liegt für das Consumgebiet verhältnismäßig günstig, ist von der Gasanstalt ca. 500 m entfernt und bietet hinsichtlich der Wasserverhältnisse zur Kühlung der Gasmaschinen vorteilhafte Eigenschaften. Außerdem steht zur späteren Erweiterung des Werkes genügend Raum zur Verfügung.« Diese »Centralstation« war ein Gleichstromwerk, das man anfänglich zur Versorgung von ca. 5.000 Glühlampen auslegte. Als Antriebsaggregate wurden Gasmotoren anstelle von Dampfmaschinen gewählt. Diese Wahl hatte mehrere Vorteile, zum einen wurde dadurch eine Konkurrenz zum Städtischen Gaswerk vermieden, das seinen Gasabsatz sogar erhöhen konnte. Durch die Nähe zum Gaswerk waren die Lieferwege sehr kurz. Außerdem wurde durch die Verbrennung von Leuchtgas eine größere Luftverschmutzung, die durch die Wahl des Standortes ein Problem hätte werden können, vermieden. Die Lage an einem Warnowarm löste die Frage der Kühlung. Die Baulichkeiten des E-Werkes, heute noch in ihren wesentlichen Teilen erhalten und in den letzten Jahren zum Vorteil restauriert, nahmen ursprünglich eine Grundfläche von rund 800 qm ein, durch Erweiterungen bis in die 50er Jahre vergrößerte sich die Fläche aber auf über 16.000 qm. Das ursprüngliche Werk bestand aus einem Maschinenhaus und einem Verwaltungsgebäude (heute Sitz der HEVAG-Hauptverwaltung), mit Büroräumen und einer Wohnung für den Betriebsleiter. Das Maschinenhaus, in dem, wie es der Name schon sagt, die wichtigsten technischen Anlagen untergebracht waren, war 30 m lang und 14 m breit. Es wurde »von einem Dach aus Eisenconstruction mit innerer, sauber gehobelter Holzverschalung frei überspannt. Eine im Dach angebrachte Ventilationslaterne sorgt für gute Lüftung des Maschinenraumes. Im Kellergeschoß des Verwaltungsgebäudes sind Batterie und Gasuhr in hohen, luftigen Räumen untergebracht. Im Erdgeschoß befinden sich drei große Büroräume, außerdem Mannschaftsraum und Werkstatt. Der Fußboden des Maschinenraumes und des Raumes für die Schaltbühne, sowie die Korridore im Verwaltungsgebäude sind mit rothen und weißen Mettlacher Platten belegt. Die Wände sind in diesen Räumen bis zur Höhe von 1,4 Meter mit fein polirtem Heliolitputz versehen. Der Fußboden des Schaltbühnenraumes liegt 0,5 Meter höher als der Maschinenhausfußboden, um dem Schaltbühnenwärter einen besseren Überblick über die Maschinenanlage zu verschaffen. Ein schmiedeeisernes Geländer begrenzt diesen Raum. Die Fundirungsarbeiten wurden durch den theilweise schlechten Baugrund sehr erschwert und vertheuert. Es mußten für die Maschinenfundamente eine sehr starke Betonsohle eingebracht werden, welche von den Gebäudefundamenten vollständig getrennt ist, um eine Übertragung der in den Maschinenfundamenten auftretenden Erschütterungen auf die Gebäude so viel wie möglich zu verringern. Aus demselben Grunde sind auch die auf den Fundamenten aufliegenden Deckenträger durch starke Filzplatten abisoliert.« Das E-Werk hatte in seiner Frühphase nur fünf Mitarbeiter, darunter den Leiter des Werkes. - Die technische Ausstattung in den ersten Jahren umfaßte zwei MAN-Gasmotoren mit einer Leistung von 125 PS bzw. 250 PS. »Die Tourenzahl der Maschinen beträgt 150 Umdrehungen pro Minute und ist durch ein neben der Maschine aufgestelltes und von derselben angetriebenes Tachometer jederzeit festzustellen.«
Die Gasmotoren trieben zwei Gleichstromdynamos an. Da Gleichstrom die Eigenschaft der Speicherfähigkeit besitzt, wurde eine Batterie eingebaut, die den »überschüssigen« Strom speichern sollte. »Die Batterie hat im übrigen den Zweck bei geringer Belastung am Tage und hauptsächlich in der Nacht den Konsum zu decken und somit das Arbeiten mit Maschinen zu vermeiden. Außerdem hat sie bei hohem Konsum in den Wintermonaten während der Abendstunden einen Theil der Belastung zu übernehmen.« Die weitere Geschichte des E-Werkes in der Bleicherstraße ist schnell erzählt: 1904 wurde , die erste Erweiterung der Maschinen- und Batterieleistung notwendig, denn die Rostocker Straßenbahn wurde elektrifiziert. Die Straßenbahn wurde eine verläßliche Hauptabnehmerin von Elektrizität. Doch schon in den Jahren 1909/10, nach der zweiten Vergrößerung, zeigte sich, daß das Werk an seine technischen und wirtschaftlichen Grenzen stieß. Eine erneute Erweiterung war nur noch an einem anderen Standort vertretbar. So wurde die Überlandzentrale Bramow gebaut. Im Frühling 1913 zog die AEG als neue Hausherrin in die Bleicherstraße. Sie hatte am 23. Mai einen 40jährigen Pachtvertrag für das EWerk und die Überlandzentrale Rostock mit der Stadt geschlossen. Die Bleicherstraße diente nun vor allem zu Verwaltungszwecken. Im Dezember 1921 trat eine Tochterfirma der AEG, die Elektrizitäts-Lieferungs-Gesellschaft Berlin (ELG), in diesen Pachtvertrag ein. 1923 wurden die Produktion im E-Werk Bleicherstraße endgültig eingestellt und die noch vorhandenen Anlagen demontiert. Es fungierte nun nur noch als Umspannstation für den aus Bramow bezogenen Strom und als Sitz der Firmenverwaltung. 1927 zog diese aber in ein neues Gebäude am St.-Georg-Platz und die Bleicherstraße beherbergte nun das Hauptlager, eine Betriebswerkstatt, Garagen und die Zählereichstation.
Der II. Weltkrieg hinterließ auch in der Bleicherstraße seine Spuren. Die Bombardements, besonders im April 1942, führten zu schweren Schäden an den Gebäuden. Noch während des Krieges begann jedoch der systematische Wiederaufbau. Nach Ende des Krieges, bis auf den heutigen Tag, diente und dient das alte E-Werk als Verwaltungssitz verschiedener Energieversorgungsunternehmen in Rostock. In den fünfziger und siebziger Jahren trugen sich die Verantwortlichen einige Male mit dem Gedanken des Abrisses, um an dieser Stelle ein »modernes« Bürogebäude errichten zu lassen. Zum Vorteil für die Stadt wurden diese Pläne nie realisiert. Von diesen übriggeblieben ist nur der 1952 bis 1955 als »Büro- und Kulturgebäude« errichtete Anbau. 1992/1993 erfolgte unter Federführung der neuen Hausherrin, der HEVAG, eine umfassende Sanierung vor allem der alten Gebäudeteile.
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