HISTORISCHE ROSTOCKER BAUWERKE
Schwaaner Landstraße 8
(Kopfbauten und Einfriedung des ehemaligen Schlachthofes)
Text und Fotos: Hans-Heinrich Schimler, Fotos: Berthold Brinkmann
Geschlachtet wurde in Rostock natürlich schon von alters her. Bereits seit dem Mittelalter gab es Schlachthäuser, die von der Stadt verpachtet wurden. Aus dem 16. Jahrhundert ist bekannt, dass es ein Privatschlachthaus vor dem Petritor gab. Die Aufsicht wurde vom Rat der Stadt wahrgenommen. Geschlachtet wurden dort Großvieh, Rinder und Schweine. Im zum Ufer der Warnow herabführende Küterbruch, einer kleinen, erstmals im Jahre 1277 erwähnten Straße, standen gleich drei Schlachthäuser direkt über dem Lohmühlengraben. Die Abfälle, so heißt es, wurden in den Wasserlauf geworfen und gelangten von dort in die Warnow.
Die Küter waren die eigentlichen Schlachter im Gemeinwesen. Wie auch die Knochenhauer, die die von den Kütern gelieferten Tiere zerlegten, hatte ihre Tätigkeit eine große Bedeutung für die Fleischversorgung der Bevölkerung in der mittelalterlichen Stadt. Doch die Küter zählten zu den weniger angesehenen und privilegierten Berufen. Angesiedelt hatten sie sich in der Regel am Rande der Stadt. So ist der Küterbruch dann auch vor der Stadtmauer zu finden. Dort wurden im Schlachthaus Schweine und Rinder im gleichen Raum geschlachtet. Etwa 100 Schlachter waren dort tätig. Die Haltbarkeit des Fleisches galt als unzureichend. Und die hygienischen Bedingen galten ohnehin schon lange als nicht mehr hinnehmbar. Darüber hinaus zeigten sich durch das stärkere Bevölkerungswachstum in der Zeit nach 1850 die Kapazitätsgrenzen des bisherigen Schlachterwesens. Auf Dauer war diese Situation nicht mehr tragbar. Auch infolge sich zum Ende des 19. Jahrhunderts verschärfender restriktiver Hygienebestimmungen musste eine andere Lösung gefunden werden.
Die Notwendigkeit eines Schweineschlachthauses erwies sich nunmehr als erforderlich. In einem Bericht des Stadtbauamtes an den Rat vom 1. April 1881 wurde darauf eindeutig verwiesen. Der seinerzeitige Stadtphysikus Dr. Lesenberg war es dann, der darüber hinausgehend den vollständigen Neubau eines Schlachthofes vorschlug. Die Zustimmung zu diesem Projekt war groß. Doch bis zur Umsetzung der Idee sollten noch ein paar Jahre vergehen.
Für die Errichtung des neuen Rostocker Schlachthofes, für dessen Bau 763.000 Reichsmark erforderlich waren, bestimmten der Rat der Stadt und die Repräsentierende Bürgerschaft ein zwischen der Schwaaner Landstraße und dem Dalwitzhöfer Weg gelegenes Kämmereigrundstück. Dort standen für den Neubau 17.000 Quadratmeter Fläche zur Verfügung. Nachdem der Rat im Oktober 1888 das Generalprojekt genehmigt hatte, konnten die Bauarbeiten schließlich in Angriff genommen werden.
Die Planungen für den Schlachthof übertrug man Stadtbaumeister Julius Studemund. Der umtriebige Fachmann war über diese Aufgabe hinaus ein viel beschäftigter Mann. So lieferte Studemund die Entwürfe für die Alte Knabenschule im Friedhofsweg und war außerdem unter anderem für die Errichtung der Bismark-Schule, der heutigen Heinrich-Heine-Schule, in Warnemünde sowie für die St.-Georg-Schule in der Steintorvorstadt verantwortlich. Zu seinen Aufgaben gehörte auch der Umbau des Thalia-Theaters in der Augustenstraße 124 im Jahr 1886 als Interimstheater für die Stadt Rostock. Das Gebäude war später die Fabrik Christen, wurde dann als Theatergaragen und heute vom Deutschen Roten Kreuz genutzt.
Was Studemund nun mit der neuen Aufgabe zu Papier gebracht hatte, war zweifellos eine Meisterleistung.
Am 27. Juli 1892 konnte der neue Rostocker Schlachthof eröffnet werden.
Bereits tags zuvor gab es einen Festakt mit Umzug und feierlichen Ansprachen. Auch viele Rostocker fanden sich ein, um diesem Ereignis beizuwohnen. Im gleichen Jahr wurde auch die bereits erwähnte St.-Georg-Schule fertig gestellt. Die Rostocker Zeitung berichtete ausführlich.
Das Schlachthausobjekt umfasste mehrere Gebäude. Schon der Eingangsbereich war beeindruckend. Er wurde geprägt von zwei größeren Gebäuden, zwischen denen sich die Zufahrt in die Anlage befand. Sie wurde bestimmt von den Haupttoren, von denen zwei für Fußgänger sowie zwei weitere für Fuhrwerke und Vieh vorgesehen waren. Im rechts der Tore gelegenen Haus waren die Verwaltung des Schlachthofs und die Wohnung des Inspektors untergebracht. Das links gelegene Gebäude gab es eine Restauration mit der darüber gelegenen Wohnung des Gastwirts. Beim Betreten des Schlachthofes fiel zunächst ein Turm auf, in dem ein Schornstein installiert war. Er gehörte zum Kühlhaus mit dem Maschinenhaus. Sie waren der Mittelpunkt der Anlage. Flankiert wurde der Komplex linkerhand von der 698 Quadratmeter umfassenden Schweineschlachthalle sowie rechterhand von der Groß- und Kleinviehschlachthalle. Dazu kam ein Gebäude für die Kaldaunenwäsche und Stallungen. Alle Bauten des Schlachthofes waren in Backstein aufgeführt worden. 1893 erhielt der Schlachthof eine Anbindung an das unmittelbar angrenzende Eisenbahnnetz.
Zu den Rostocker Fleischern, die auf dem Schlachthof einkauften, gehörte auch Paul Seibt, der sein Geschäft im Barnstorfer Weg 51 hatte. Er ist der Großvater von Andreas Stach, der die Fleischerei heute am selben Standort führt. Ein Foto aus den 1930er Jahren zeigt den Opa in eindrucksvoller Positur auf dem Schlachthof. Die Fleischerei wurde 1890 von Fritz und Henriette Seibt eröffnet. Damals musste das Fleisch noch mit der Karre ins Geschäft gebracht werden. Das war auch in den 1920er Jahren noch so, als Großvater Paul die Führung der Firma übernahm. 1962 konnte Andreas Stachs Mutter Gisela aus der Familie Seibt nach erfolgreich bestandener Meisterprüfung die Fleischerei übernehmen. Heute ist die Fleischerei Seibt in vierter Generation das älteste Unternehmen der Branche in Rostock. Die fünfte Generation steht schon in den Startlöchern.
Am Dalwitzhöfer Weg, gegenüber dem Schlachthof, entstand auf einem 13.300 Quadratmeter großen Grundstück eine dringend erforderliche See-Quarantäneanstalt. Sie wurde im April 1893 eröffnet und diente der eigens vorgeschriebenen Schlachtung des aus Skandinavien importierten Viehs. Mittelpunkt dieser Anlage waren drei jeweils 720 Quadratmeter große Ställe zur Unterbringung des Schlachtviehs. In der Anstalt wurde die veterinärpolizeilich vorgeschriebene Behandlung des Schlachtviehs vorgenommen, das über den Seeweg aus dem Ausland eingeführt wurde.
Im Jahre 1927 wurde eine Verschärfung seuchenrechtlicher Bestimmungen für seeimportiertes Vieh auf den Weg gebracht. Erforderlich war sie vor allem wegen der immer häufiger in Erscheinung tretenden Viehseuchen. Zur Folge hatte dies, dass das Schlachten von über See kommenden Viehs nur noch gestattet wurde, wenn es in einem Schlachthof vorgenommen wurde, der direkt an einem dafür zu schaffenden Hafen angesiedelt wurde. Das hatte zur Folge, dass noch im gleichen Jahr mit dem Bau eines neuen Seegrenzschlachthofes in Bramow begonnen wurde. Zwei Jahre später konnte er in Betrieb gehen. Den alten Schlachthof berührte das zunächst nicht. Erst 1938 wurde er geschlossen. Der neue städtische Schlachthof in Bramow übernahm als Nachfolger des Seegrenzschlachthofes die Aufgaben des nunmehr geschlossenen alten Schlachthofes, der bei seiner Entstehung als überzeugendes Beispiel der Industriearchitektur des 19. Jahrhunderts in Rostock galt.
Als städtisches Unternehmen fiel der alte Schlachthof in die Verantwortung des Rates. Wie diese Aufgabe gehandhabt wurde, soll an einigen Beispielen verdeutlicht werden. Die Aufsicht führte die Deputation zur Verwaltung des städtischen Schlachthofes. Unterstellt waren der Deputation die Verwaltung des städtischen Viehhofes und Viehmarktes sowie die Verwaltung der See-Quarantäne-Anstalt.
Im Jahre 1900 waren die Senatoren Albert Clement und Heinrich Blanck die rätlichen Deputierten. Bürgerschaftlicher Deputierter war zum einen Dr. E. Grosschopff, der am 1. Juli 1899 wieder erwählt wurde. Zum anderen war dies der Rentier Max Hoth, der zum selben Datum erwählt wurde und von 1885 bis 1889 Wirt im Mahn- und Ohlerich-Keller war. Beamte waren zu dieser Zeit als Schlachthof-Inspektor der praktische Tierarzt Friedrich Längrich und der Buchhalter Emil Sommer. Dazu kamen noch der Hallenmeister Friedrich Winterfeldt, der Probenehmer Heinrich Remer und der Maschinist H. Heidemann. Gastwirt des Schlachthof-Restaurants war damals der Restauratuer L. Kreibig.
Für das Jahr 1922 werden unter der gleichen Verwaltung als Rätlicher Deputierter Stadtrat Emil Werner und als Bürgerschaftliche Deputierte die Herren Brunis, Murswiek, Recker, Peters und Scherff aufgeführt. Die Beamten des Schlachthofes sind mit dem Tierarzt Dr. Georg Hofmann als Direktor, Friedrich Berringer als Stadtbuchhalter benannt. Dazu kamen noch Hallenmeister Johann Jürß, der Maschinist Hermann Nimmich und der immer noch tätige Probenehmer Heinrich Remer. Als Angestellte sind genannt der Tierarzt Dr. E. Maiser, der Registraturgehilfe M. Schröder, der Hilfsprobenehmer W. Buuk und der Laboratoriumsdiener Heinrich Stubbe.
1935 sind unter der Schlachthofverwaltung der Dezernent Stadtrat Hans Wulff und der Direktor Dr. Herbert Köller genannt. Als Beamter ist Stadtinspektor Heinrich Grimm und als Maschinist Paul Hörning gemeldet.
Die Rostocker Adressbücher vermitteln darüber hinaus noch mehr Wissenswertes. So war unter der Adresse des Schlachthofes eine GmbH, die sich Verwertung von Fleischerei-Nebenprodukten nannte, zu finden.
Zu benennen sind auch jene Rostocker Gastronomen, die das Schlachthof-Restaurant bewirtschafteten. Der erste Gastwirt war 1892 Georg Jacobs. 1899 folgte ihm Ludwig Kreibig. Und dann ist da noch ein Mann namens August Burwitz. Er war einer der bekanntesten Gastronomen in Rostock und war von 1911 bis 1935 der Wirt des Schlachthausrestaurants. In jenem Jahr erwarb er schließlich das Haus Neuer Markt 16 und betrieb bis 1970 unter seinem Namen die dortige Gastwirtschaft. Im Schlachthof folgte ihm für zwei Jahre Carl Jensen, der 1937 von Wilhelm Golz abgelöst wurde. 1941 hieß das Restaurant Schlachthof-Gaststätte. Seit 1942 lässt sich von der traditionsreichen Einrichtung nichts mehr finden.
Während der Zeit des Nationalsozialismus dienten die Schlachthofbauten, soweit vermutet, der Rüstungsindustrie. Bald nach Kriegsende, am 1. August 1945, gründeten sich auf dem Gelände die Rostocker Industriewerke. Sie kamen zu Anfang der 1950er Jahre zum nahen Dieselmotorenwerk. Mit den Umbrüchen der Zeit nach 1989 kam es zu weitreichenden Eingriffen. 1994 wurden mehrere Gebäude des alten Schlachthofes abgerissen.
Erhalten blieben die beiden Torbauten und die einstige Groß- und Kleinviehschlachthalle an der heutigen Blücherstraße. Die Gebäude werden nach Restaurierungs- und Erweiterungsarbeiten seit 1998 von der Handwerkskammer Ostmecklenburg-Vorpommern als Bildungszentrum genutzt. Damit bleibt ein Teil des historischen Objektes in erfreulicher Form erhalten.
s.auch: Seegrenzschlachthof Bramow
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