Klein Doberan im alten Rostock
Vom Stadthof der Zisterzienser zum Chemischen Institut
Text: Hans-Heinrich Schimler, Abbildungen: Sammlung Berthold Brinkmann

Im fernen Jahr 1171 machten sich Mönche des Zisterzienserklosters Amelungsborn auf den Weg nach Norden. Sie waren damit die ersten Mönche in Mecklenburg. In Althof nahe der späteren Stadt Doberan ließen sie sich nieder. Am 1. März des Jahres wurde das neue Kloster von zwölf Mönchen und dem Abt Conrad bezogen.
Initiator der Ansiedlung der Mönche war Berno, den Heinrich der Löwe zum Bischof von Mecklenburg ernannt hatte. Berno kam ebenfalls aus Amelungsborn. Es wird angenommen, dass er im Jahre 1135 einer der Gründer des dortigen Klosters war. 1154 bat er den Papst um die Erlaubnis, das Kloster verlassen zu dürfen, um als Missionar nach Mecklenburg zu gehen. Auf Drängen Bernos hatte der Obodritenfürst Pribislaw das für die Ansiedlung der Mönche erforderliche Land gestiftet. Ihre Aufgabe war es, die dort ansässigen Wenden zu bekehren. Doch das Unternehmen endete blutig. Bei einem Überfall der dort ansässigen Slawen am 10. November 1179 wurden alle 78 Ansiedler, darunter auch alle Mönche getötet. Lediglich Abt Konrad I. konnte sich in Sicherheit bringen.
Erst 1186 kam es durch Pribislaw, den Sohn Heinrich Borwin I., und wiederum durch Mönche aus Amelungsborn, zur Neugründung einer Zisterzienserabtei am heutigen Standort, der zum Ausgangspunkt des heutigen Bad Doberan wurde. Dieses älteste und schließlich reichste Kloster in Mecklenburg entwickelte sich zu einem geistlichen, politischen und wirtschaftlichen Zentrum mit umfangreichem Grundbesitz.
Berühmt wurden die Zisterzienser durch die Errichtung von Stadthöfen. So wandten sie sich auch dem nahe gelegenen Rostock zu. Ihre dortige Niederlassung sollte eines der bedeutendsten Beispiele dafür werden. Der Rostocker Stadthof des Doberaner Zisterzienserklosters ist seit spätestens 1263 belegt. 1280 wurde ein Grundstück, ein Erbe, gegenüber dem Hof der Mönche des Klosters Doberan erwähnt. Seinen Standort hatte er in der Nähe des Dominikanerkloster St. Johannis auf einem großen Eckgrundstück in der heutigen Buchbinderstraße zu der kleinen Straße mit dem Namen Rostocker Heide.In der berühmten Vicke-Schorler-Rolle ist das imposante Gebäude dargestellt.

Der für primäre Zwecke genutzte Außenstandort des Doberaner Klosters sollte als Doberaner Hof oder auch Klein Doberan in die Stadtgeschichte eingehen. Die Bezeichnung ging nach 1280 auch auf die Straße über, die die Grenze zwischen der Mittelstadt und der Neustadt bildete. Auch die Benennungen „Beim alten Doberan“ im Jahre 1325 und 1595 auch „Alte Doberaner Straße“ sind nachgewiesen. Seit 1480 ist dann auch noch die Bezeichnung Malerstraße für den Südabschnitt der Straße zu nennen. 1612 kam der Name Königstraße auf, der für den südlichen Abschnitt noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bestehen blieb. Malerstraße heißt der südliche Straßenabschnitt auch bei Rudolf Tarnow. In seinemzwischen 1780 und 1790 entstandenen Stadtplan ist das anzusehen. Das einst klösterliche Grundstück bezeichnet er alsFürstlichen Dobberanscher Hof.
Seit 1785 ist die Benennung des nördlichen Teils der Straße als Buchbinderstraße belegt. Seit Ende des 19. Jahrhunderts heißt die gesamte Straße so. 

Die zuvor eher unbedeutende Straße erlangte ihr größer gewordenes stadtgeschichtliches Gewicht aus dieser klösterlichen Niederlassung. Dazu trugen darüber hinaus auch das nahebei gelegene Dominikanerkloster St. Johannis und das Heilig-Geist-Hospital nahe St. Marien bei.

Der Doberaner Hof war ein Wirtschaftshof, der mit der Tätigkeit der Mönche aktiv am Handelsleben der Stadt beteiligt war. Dort wurde für die Klosterversorgung eingekauft. Und verkauft wurden Erzeugnisse der Klosterwirtschaft, darunter auch Getreide. Es gab Lagerhallen, Scheunen und Ställe. Besonders eindrucksvoll ist der Hof auf dem 1622 in nunmehr bereits nachklösterlicher Zeit von Wenzel Hollar geschaffenen Plan Rostocks dargestellt.
 Natürlich gab es auch eine Kapelle für den täglichen Gottesdienst. Und auch Übernachtungsmöglichkeiten waren vorhanden. Es wird berichtet, dass auch die Schweriner Bischöfe kamen bei ihren Besuchen in Rostock dort einkehrten.

Mit der Reformation kam das Ende des Klosters und damit auch das seiner Rostocker Außenstelle. Die Folge für das beachtliche städtische Objekt war ein sich in die Länge ziehender Streit zwischen der Stadt und dem Schweriner Fürstenhaus. Die Rostocker Ratsherren hätten nach der Aufhebung des Klosters seit 1552 gerne für ihre eigenen Interessen genutzt. Dennoch obsiegten schließlich die mecklenburgischen Landesherren, die Teile des Hofes der Universität zur Indienstnahme übergaben.
Hinweise zur Nutzung des Hofes für eine Reitschule, die dort eingerichtet werden sollte, gab es bereits im 18. Jahrhundert. Eine Akademische Reitbahn, ein Reithaus und ein Stallmeisterhaus sind zu Beginn des 19. Jahrhunderts belegt. Nachgewiesen ist auch, dass es dort Reitübungen und Fechtunterricht für die Studenten gab. Doch auch Auftritte von Gauklern gab es. Gelegentliche Echauffiertheit seitens der Stadtoberen gab es in Sachen Bierausschank seitens auswärtiger Brauereien. Besonderen Anlass dafür gab das Kniesenacksche Bier aus Güstrow, das wegen seiner hohen Qualität zu einigem Ruhm gelangt war. Das Ärgernis dieser Entwicklung ging vor allem in Richtung der in Rostock ansässigen Bierbrauer. Gab es in der Stadt doch eigentlich genügend Brauhäuser, die ihr Bier dort verständlicherweise selber anbieten wollten.
In dem von Professor Dr. Ernst Münch und dem Prähistoriker Ralf Mulsow geschriebenen Buch „Das alte Rostock und seine Straßen“ heißt es dazu: „Es wurde entscheidend, dass der Doberaner Hof und das Johanniskloster nach ihrer Säkularisierung für die Universitäts- und Schulgeschichte Rostocks nicht unbeträchtliche Bedeutung gewannen. So wohnte am Südostende der Straße der Rektor der nahe gelegenen Großen Stadtschule, die in einem Teil des in der Reformation aufgelösten ehemaligen Dominikanerklosters St. Johannis eingerichtet worden war. Die Reihe dieser Rektoren, anfangs oft auch Professoren der Universität, begann mit dem namhaften Begründer dieser Stadtschule 1580, dem berühmten Philologen Nathan Chytraeus. Auch auf der Südwestseite der Buchbinderstraße im unmittelbaren Umfeld des Doberaner Hofes häufig Gelehrte und Professoren der Universität.“

Im 19. Jahrhundert beruhigte sich die Lage. 1845 wurde in den Gemäuern des Doberaner Hofes ein Hebammen-Institut eingerichtet (Professor Schatz). Darüber hinaus entstand dort noch ein Offizierskasino. Die Adresse war damals die Königstraße 7.

Letzter Nutzer des Hofes war dann das Chemische Institut der Universität. Die dazu mit hohem finanziellem Aufwand hergerichteten Bauten ließen bis zu ihrem Abriss im Jahre 2008 erahnen, welche Größe der Komplex des Doberaner Hofes hatte. 1888 wurde der Komplex an den Professor für Chemie und Pharmazie Oscar Jacobsen übergeben. Ihm lag vor allem daran, bei der Arbeit in den Laboren gesundheitliche Schäden zu vermeiden. Die Zahl der Studenten stieg ständig. Besonders unter seinem Nachfolger August Michaelis wurde das zum Problem. Doch mehr als einige bauliche Erweiterungen ließen sich damals nicht umsetzen. Erst im Jahre 2001 konnte das Institut sein neues Domizil im Südstadtcampus der Universität beziehen.