Der Seegrenzschlachthof in Rostock-Bramow
von Hans-Heinrich Schimler, Gastronomische Recherche: Jens Andrasch
Der Seegrenzschlachthof mit Kaianlagen an der Warnow in Rostock-Bramow nahm am 1. Oktober 1929 seinen Betrieb auf. In einem größeren Beitrag berichtete der im Verlag Carl Boldt erscheinende Rostocker Anzeiger am 2. Oktober 1929 über die tags zuvor erfolgte Eröffnung. Zu finden war er neben dem 1911 in Betrieb gegangenen Kraftwerk in Bramow. Der Grund für die Errichtung des Seegrenzschlachthofs war eine am 1. Juli 1927 in Kraft getretene tierseuchenpolizeiliche Verordnung. Mit dem in nur zweijähriger Bauzeit fertig gestellten Schlachthof konnten die staatlichen Forderungen umgesetzt werden. So war der Transport von Auslandsvieh, besonders dänischem Schlachtvieh, ohne Berührung von Straßen und Plätzen direkt vom Schiff in den Seegrenzschlachthof gesichert.
In einer kurzen Ansprache zu Eröffnung verwies der damalige Rostocker Oberbürgermeister Dr. Ernst Heydemann darauf, dass die Stadt sehr zögerlich an den Neubau eines Schlachthofes herangegangen sei. Das Geld, so sagte er, wäre wohl für andere Zwecke nötiger gewesen, „aber dem Zwang gehorchend, musste sich Rostock fügen. Heute, wo das Werk vollendet ist, freuen wir uns an dessen musterhafter Ausführung. Über die technisch und ästhetisch hervorragende Leistung haben uns bereits die Herren der Reichskommission ihre besondere Anerkennung ausgesprochen. Wir schließen uns ihnen an und sagen allen denen unseren Dank, die so tatkräftig am Werke mitgearbeitet haben.“
Große Verdienste um die Umsetzung dieser Pläne machte sich vor allem, wie Heydemann hervorhob, besonders Stadtrat Dahse, dem ersten Vorsitzenden des Ausschusses für den Bau des Schlachthofes. Er hätte es verstanden „alle Schwierigkeiten jeglicher Art zu beseitigen und alle übrigen Mitarbeiter in harmonischer und freudiger Tätigkeit zusammenzuhalten. Seiner Energie ist es in erster Linie zuzuschreiben, wenn der Bau so schnell fertig gestellt wurde.“ Darüber hinaus gebühre auch dem Dezernenten der Schlachthofverwaltung, Stadtrat Mahnke, und dem Leiter des Schlachthofes, Direktor Hofmann, Dank. Auch sie hätten ihre ganze Kraft in den Dienst der Sache gestellt.
Die Entwürfe für den Bau lieferte der Berliner Architekt Frehse. Bei deren Ausführung hatten, wie der Oberbürgermeister betonte, die Direktoren des Hoch- und Tiefbauamtes voll ihre Pflicht und Schuldigkeit getan. „Ihnen, denen vielfach Schwierigkeiten in den Weg gelegt waren, ist ebenso besonderer Dank auszusprechen, wie überhaupt allen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die mit Geschick am Bau beteiligt waren.“
Für die Umsetzung der Vorschriften bot sich die Wahl des Standortes geradezu an. Angesichts der Lage unmittelbar am Ufer der Warnow konnten die Schlachttiere ohne weitere Landberührung am eigens dafür gebauten Viehkai ausgeladen werden. Von dort führte der Weg weiter zum Grenztierarzt, zur Zollabfertigung, zur Waage und zum Triebgang, zu den Großviehstallungen und Seuchenviehstallungen, zum Schweinestall, zur Schlachthalle und schließlich zur Großviehschlachthalle. Zur Ausstattung des Schlachthofes gehörten weiterhin die Räume für Häuteannahme und Abhänge, die Kühlräume und die Eisfabrikation, das Maschinenhaus, die Waschanstalt und anderes mehr. Ein zum Artikel veröffentlichtes Luftbild vermittelte anschaulich einen guten Eindruck von der Anlage, einschließlich eines bereits festgemachten Viehtransporters. Die für das Objekt gebaute Straße erhielt 1930 den Namen Am Grenzschlachthof.
Doch die Freude an der viel gelobten Errungenschaft der Rostocker Wirtschaft sollte nicht allzu lange währen. Wurde er doch wegen fehlender Rentabilität am 31. März 1933 schon wieder stillgelegt. Der Schlachthof geriet unaufhaltsam in den Strudel der heraufziehenden Weltwirtschaftkrise. Auch erneute Zollbestimmungen taten das ihrige. Das alles führte zu massiven Auftragsrückgängen
Im Rostocker Adressbuch von 1935 ist die Situation unter der Straße Am Grenzschlachthof nachzulesen. Die Hausnummer 1 ist mit dem der Seestadt Rostock gehörenden Seegrenzschlachthof genannt.
Gemeldet ist dort auch der Restaurateur Carl Suhrbier. Er war seit 1930 der erste Wirt im neuen Restaurant „Seegrenzschlachthof“, das damals noch unter der Adresse Warnemünder Chaussee zu finden war. Zuvor hatte Suhrbier ab 1921 das Restaurant „Am Fischereihafen“ in der alten Rostocker Straße Am Strande geführt. Nun aber sollte der Seegrenzschlachthof für einige Jahre sein Wirkungskreis sein. Noch bis ins Jahr 1941 ist Carl Suhrbier in der Restauration, die seit 1931 nur noch als Restaurant und 1941 Schlachthofgaststätte hieß, als Gastwirt zu belegen.
Das Haus Nummer 2 gehört ebenfalls der Stadt. Es beherbergt neben einem Büro drei Beamtenwohnungen, in denen ein Schlachter und zwei Ingenieure leben. Auch die Nummer 3 dient als Beamtenwohnhaus. Dort gibt es vier Wohnungen für einen Hallenmeister, einen Maschinenmeister und zwei Arbeitsmänner.
1937 schließlich konnte die nun zum städtischen Schlachthaus ausgebaute Produktionsstätte wieder in Betrieb genommen werden. Im Adressbuch jenes Jahres heißt es dazu: „Ein weiterer Baustein in der Aufbauarbeit unserer Stadt war die Einweihung des neuen Schlachthofes, der in dem seinerzeit stillgelegten Grenzschlachthof entstand. Die Einweihung erfolgte am 4. April. Rostocks Schlachthof ist mit den allerneuzeitlichsten Anlagen versehen. Die große Markthalle kann 200 Stück Großvieh fassen. Der Viehhof kann jährlich 12000 Stück Großvieh, 50000 Schweine und die gleiche Anzahl Kälber auf nehmen.“
Während der Einweihungsfeier hielt der damalige Rostocker Oberbürgermeister Walter Volgmann die Eröffnungsrede. Er hob dabei hervor, dass die Entscheidung getroffen worden sei, den Grenzschlachthof nicht einfach anzupassen und zu überholen sondern ihn umzubauen.
Zur Umsetzung des Vorhabens waren 850 000 Mark erforderlich. Dabei wurden die meisten Hallen um- und durchgebaut. Gleichzeitig wurde ein neuer Viehhof errichtet. Die Schweinemarkthalle wurde erweitert, ein neuer Seuchenhof und ein Neubau für das Kleinvieh errichtet. Dazu kam ein neues modernes Kühlhaus. Änderungen erfuhr die bisherige Schlachthalle, was mit einer Ergänzung der maschinellen Einrichtung verbunden war. Auch eine Heißwasserbereitungsanlage entstand neu. Weiterhin wurden Laden- und andere Rampen errichtet. Darüber hinaus entstanden eine Blutverwertungsanlage, eine Finnengefrieranlage und eine Freibank, zu der ein Warteraum geschaffen wurde. Auch Büroräume für den Marktbeauftragten, eine Bankstelle sowie ein Laden für die Viehverwertung entstanden neu.
Für den alten Schlachthof an der Schwaaner Landstraße bedeutete die Entwicklung das Aus. Zwar hatte es noch zusätzliche kommunale Investitionen gegeben. Dennoch wäre er lediglich mit hohen Modernisierungs- und Erweiterungskosten zu nutzen gewesen. So zog er mit der Eröffnung des städtischen Schlachthofs in Bramow nach dorthin um.
Nach dem Krieg wurde der Schlachthof Rostock-Bramow ab 1949 zunächst vom Kommunalwirtschaftsunternehmen der Stadt Rostock (KWU) verwaltet. Neben den Betriebseinrichtungen gab es das Restaurant und Kantine Neuer Schlachthof mit Paul Maatz als Pächter. Weiterhin sind vier Engrosschlächter, die Raiffeisen-Viehverwertungs-Genossenschaft sowie die Fleischer-Handwerks-Genossenschaft für Stadt- und Landkreis Rostock gemeldet. Das Haus Nummer 2 diente der Stadt als Direktionsgebäude, in dem das Büro der Schlachthofverwaltung untergebracht war. Auch Stadtrat Rudolf Heyden war dort zu finden. Angesiedelt war wie zuvor schon auf dem alten Schlachthof nun auch hier die Firma Verwertung von Fleischerei-Nebenprodukten GmbH.
Rudolf Heyden war auch an einer Entwicklung im Jahre 1949 beteiligt, die zum geplanten Fischkombinat führte, das auf dem benachbarten Gelände der einstigen Heinkel-Flugzeugwerke entstehenden sollte. Es wurde am 7. Dezember 1949 gegründet. In Saßnitz hatte es dazu am 23. November eine Sitzung gegeben, auf der ein entsprechender Beschluss zur Errichtung eines Fischkombinates in Rostock gefasst wurde. Stadtrat Rudolf Heyden, der an dieser Zusammenkunft teilgenommen hatte, notierte in einem von ihm verfassten Protokoll: „Die Errichtung des Fisch-Kombinates soll auf dem ehemaligen Heinkel-Gelände in Angriff genommen werden. Die nötigen Erhebungen wird das AIM (Architektur- und Ingenieurbüro Mecklenburg) vornehmen. Pläne, Errechnungen und Material-Anforderungen liegen bei der VVBF Saßnitz.
Als Übergangslösung bis zur Errichtung des Fisch-Kombinates sollen die Kai-Anlagen des Schlachthofes zur Verfügung gestellt werden. Außerdem müsste der Schlachthof einen Lagerraum für Netze und Schiffszubehör abtreten.“
Am Viehkai des Schlachthofes hatten zunächst zwei Schuten festgemacht, auf denen sich die Mitarbeiter der Kombinatsverwaltung einrichteten. Am 19. Juni 1950 landeten die Logger Heinrich Mann und Rosa Luxemburg den ersten Fisch am Kai des Schlachthofes an. Fotos aus jenen Tagen zeigen, wie Hering angelandet wurde.
Ab 1950 trug der Schlachthof die Bezeichnung VEB (K) Schlachthof Rostock. Nach der Angliederung eines Schlachtbetriebes in Barth erfolgte 1968 die Umbenennung des Unternehmens in VEB Fleischwirtschaft Rostock. Es gehörte seitdem zum bezirksgeleiteten VEB Kombinat Fleischwirtschaft.
Ältere Rostocker erinnern sich daran, dass sie in der Verkaufsstelle des Schlachthofs Freibankfleisch erwarben. Dabei handelte es sich um minderwertiges, jedoch nicht gesundheitsschädliches Fleisch, das zu kleineren Preisen angeboten wurde. Und manch einer erinnert sich auch noch an den Knochenberg. „In den 60er Jahren bin ich dort im Sommer fast täglich mit dem Fahrrad lang gefahren. Berge von Knochen waren dort aufgeschüttet. Es stank erbärmlich und tausende Möwen und Krähen zankten sich um die Fleischreste an den Knochen“, beschreibt ein Rostocker die Situation wie er sie in seiner Kindheit vorfand. Die Knochen wurden verladen und mit Güterzügen in Knochenmühlen gebracht. Der Knochenberg befand sich gegenüber dem Schlachthof zwischen der Schlachthofstraße und der heutigen Straße Am Bahnhof Bramow.
Zu den Ansiedlungen auf dem Gelände gehörte das Minol-Tanklager.
Wie so viele andere Betriebe auch überlebte das Schlachthaus das Ende der DDR nicht. Es wurde 1990 durch die Treuhand verkauft, in der Folgezeit geschlossen und schließlich abgerissen. Einer der beiden Kopfbauten überlebte allerdings. Er befindet sich allerdings in desolatem Zustand.
Erhalten blieb der kleine Hafen des Schlachthofes mit dem Viehkai. Dort bewirtschaftet das Unternehmen SAB Diesel-Notstromaggregate die Marina Bramow. Damit blieb erfreulicherweise ein Stück Rostocker Wirtschaftsgeschichte bewahrt.
s, auch: Städtische Schlachthof Schwaaner Landstraße
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