Frank Sakowski, 03.12.2014


Erste Bemerkungen zu glasierten Formsteinen und Formsteinfriesen an der Rostocker Marienkirche

Vorbemerkungen
Der Verfasser, ehemals tätig als Bau- und Projektleiter des Architekturbüros ANGELIS&PARTNER an der Marienkirche Rostock wurde durch die Erklärung (begonnen durch Pastor Ulrich Nath, Rostock) des Figurenfrieses an der Turmfassade der Marienkirche durch Herrn Otto- Hubert Kost.
(Prof. Dr. Dr.Otto Hubert Kost, Theologe, Hannover,
„Erläuterungen zum Personenfries an der Westseite des Turmes der St. Marienkirche zu Rostock“,
in Jahrbuch für Mecklenburgische Kirchengeschichte MECKLENBURGIA SACRA 2012,
im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft für Mecklenburgische Kirchengeschichte Redaktion Susanne Böhland, Dr. Michael Brunners, Redarius Verlag Wismar 2012, ISBN 978-3-941917-05-7)
inspiriert, hier auf einige noch erhaltene Details aus glasierten Backsteinen im
Außenbereich an anderen Stellen der Kirche hinzuweisen.

Im „Schlie“ finden sich dazu folgende Bemerkungen. Seite 12 „…Reste eines gothischen Rosettenfries an den östlichen Abschlußwänden beider Seitenschiffe, man sieht Löwen und Lilien innerhalb achtteilig gegliederter Rosetten.“
Und Seite 12 und 13 „wegen seiner trefflichen technischen Ausführung mag auch noch der Blendenschmuck in dem von zwei Türmchen flankierten Giebel des südlichen Querschiffs erwähnt werden.“ (Kunst – und Geschichtsdenkmäler des Grossherzogthums Mecklenburg- Schwerin, Bd I, bearbeitet von Prof. Dr. Friedrich Schlie, Schwerin i. M. 1896, Bärensprungsche Hofbuchdruckerei.)
Es ist ein Foto des oberen Giebelteils im Buch vorhanden. Der Giebel befindet sich auf dem Foto in noch unrestaurierten Zustand, sichtbar daran, dass in dem großen Kreis (Rosette) nichts zu erkennen ist. Später (1901/02 oder 1906?) wurde dieser Giebel und Giebelkreis restauriert und sieben Rosetten aus Formsteinen (wieder-)eingesetzt, wie sie der Verfasser später vorfand und sie ebenfalls im Bestand repariert wurden.
Ein horizontaler Fries ist auf dem Foto nur zu erahnen.
Im Jahr 1999 und 2000 leitete das Büro ANGELIS&PARTNER die Sanierung der Dacheindeckung des Südquerhauses, dort findet sich am Schaugiebel ein horizontaler Fries von sich gegenüberstehenden Fabeltieren aus glasierten Backsteinplatten (diese Reliefplatten treten auch an dem südöstlichen und nordöstlichen Seitenschiff auf). Je ein Fabeltier richtete sich immer gegen das andere. Über dem Tierfries verläuft horizontal ein Friesteil, gebildet aus Dreieckplatten mit drei knolligen Knospen.
Der Dreieckgiebel wurde an den Rändern mit ebendiesen dreieckigen, glasierten Backsteinplatten mit dem Motiv von drei Knospen (knolligen Blumen) eingefaßt.
Die grünliche Glasierung der Friese entspricht in ihren Schattierungen den grünlich/ bräunlich glasierten Backsteinen des Basilikateils der Kirche der Bauphase ab von um 1398.
Die Dreieckplatten wurden zum Teil bei Reparaturen erneuert (1901/02 oder 1906?).
An den beiden Fialtürmchen wurde aus glasierten Formsteinen ein Kleeblattfries auf Konsolen gestaltet, eingearbeitet auch die Dreieckplatten mit den knolligen Blumen.
In den Berichtsunterlagen der Arbeiten von 1999 und 2000 wurden Fotografien beigefügt.

Foto: Berthold Brinkmann

In den Jahren 2004/2005/2006 leitete der Verfasser als Mitarbeiter von  ANGELIS&PARTNER den Wiederaufbau des einsturzgefährdeten Südportalfensters im Südgiebel und 2007/08 die Sicherung des Südquerhauses. Dabei wurde das Tierfries und die Friese und Gestaltungen des Südschaugiebels darüber, einschließlich der Fialtürme im Bestand gesichert und repariert. Entsprechende Dokumentationen wurden in den Verwendungsnachweisen vorgelegt.

Im Projekt der Deutschen Bundesstiftung Umwelt u.a. Förderer, Abschluß im Jahr 2011, zur Restaurierung der Querhausportale, wurde auch auf die glasierten Formsteine (Platten mit Dreiblättern u.a.) hingewiesen, die die Portale aus Naturstein einfassen oder begleiten (auch Nischen und Rosetten am Nordportal).

Als 2004 am nordöstlichen und südöstlichen Seitenschiff die Dachkonstruktion, Kupferneueindeckung und Mauerwerke gesichert wurden, wurde auf die Rosettenfriese mit den Tieren an den Ostseiten hingewiesen (siehe oben Erwähnung der Fragmente im „Schlie“, S.12). Arbeiten an ihnen wurden nicht ausgeführt, weil sie sich geschützt unter Dachüberständen befinden. (Leider hat der Verfasser keinen Zugriff mehr auf das Fotoarchiv von ANGELIS&PARTNER.)
Die Dachüberstände entstanden, weil das neuere Seitenschiff an den älteren Bestand des Kapellenkranzes (Strebepfeiler) angebaut wurde. Gut sichtbar an der unterschiedlichen Ausführung des Mauerwerks. Das neuere mit dem Fries  ab von um 1398 ist durch die Wechselschichten grünlich glasierter und unglasierter Backsteine charakterisiert.
Eine der grünlich glasierten Backsteinplatten mit Tier (Drachen, Greif, Lindwurm siehe weiter unten) befindet sich (neu?) eingemauert an der Ostwand innen des Südquerhauses. (einige Platten sind wohl im Museum Rostock). Alle anderen Platten, Formsteine und Nachbildungen wurden durch den Verfasser im Nordturm sicher eingelagert.

Immer wenn dem Verfasser die Tierplatten ins Blickfeld kamen, wurden sie als Fabelwesen (Drache und Löwe) eingeschätzt und an ihre apotropäische (das Unheil abwehrende) Bedeutung gedacht und hingewiesen.
Überlegungen auch dazu wurden vor Jahren ausgetauscht mit Jan Schröder aus Berlin, der zur Baugeschichte der Marienkirche eine Doktorarbeit anfertigen wollte (TU Berlin).

Die grünlich, bräunliche Glasur der Backsteine und Formsteine der Bauphase nach um 1398 (ein Farbenspiel trat wegen wohl verschiedener historischer Bau- und Fertigungsphasen auf und ist am Nordquerhaus gut zu beobachten) im Inneren der Kirche an Achteckpfeilern, Nischen und Brüstungen und im Außendekor verweist auf eine architektonische Vorgabe, die nach Einheitlichkeit strebte. An den späteren, glasierten Westturmziegeln und dem früheren, glasierten Figurenfries sind die Glasuren schwärzlich.
Auch die Größe (28,00 cm x 27,00 cm) der Tierplatten (ebenso die der gerundeten Basensteine und Profilsteine an den Achteckpfeilern) ist nicht gewöhnlich und erforderte gute Handwerker/Ziegler.
Was Figuren und Fassadendekor betrifft, ist die St.-Marien-Kirche die einzige Rostocker Kirche, die darüber verfügt.
An Gebäuden hat sich das ehemalige Pfarrhaus des Heilig-Geist-Hospitals in der Kröpeliner Straße 82 (Fassade Ende des 15. Jh.) erhalten. Es verfügt über einen reichen Schmuck aus Ziegelplatten, auch mit Tieren.
(Im Gegensatz zu Wismar, siehe Artikel von Frau Beatrice Busjan zum Südgiebel der Nikolaikirche in Wismar u.a.“ Die figürlichen Formziegel der Wismarer Nikolaikirche“, in Ernst Badstübner / Uwe Albrecht (Hgg.): Backsteinarchitektur in Mitteleuropa. Neue Forschungen - Protokollband des Greifswalder Kolloquiums 1998 (Studien zur Backsteinarchitektur; Bd. 3), Berlin: Lukas Verlag 2001.)

Die Rosetten- Friesfragmente an den Osttraufen der Seitenschiffe deuten darauf hin, dass sie ursprünglich entlang der gesamten Traufen des jeweiligen Seitenschiffs verliefen. Bei den Dacharbeiten 2004 war ja erkennbar, dass der jetzt vorgefundene Gesimsabschluß als Rollschicht aus gefasten und gekehlten Backsteinen und sogar darunterliegende Mauerwerksschichten (erkennbar an anderer Glasur) mit der Erneuerung der Dachkonstruktion vor ca. 100 Jahren oder früher, erneuert wurden (charakteristisch sind für diese Traufen die über den Fenstern eingemauerten hölzernen Rollen). Dabei wurde wohl der Rosettenfries mit den Tieren an den Längsseiten abgerissen.
Außerdem ist dann darüber nachzudenken, ob ein solch aufwendiger Fries unter einem Pultdach sitzen soll (unter dem jetzt vorhandenen jedenfalls wegen des Dachgefälles nicht, deshalb wohl abgerissen).
Würde jedoch das Seitenschiffsdach als aus mehreren Satteldächern bestehend (wie an einigen Kirchen ausgeführt) in Nord- Süd- Richtung ausgeführt, wäre der Fries voll sichtbar. (denke auch die Strebebogenansätze, die viel weiter heruntergezogenen Hochschiffsfenster, später wieder zugemauert). Es wäre denkbar, dass eine solche Seitenschiffsdachkonstruktion einmal vorgesehen war.

0Die Fragmente des Frieses am südöstlichen Seitenschiff, Ostseite außen
Foto: Berthold Brinkmann

Der Fries besteht aus einer unteren Reihe von glasierten Nasensteinen (Gesimsformsteinen) mit Abtropfkante (wie das Kaffgesims weiter unten). Im Bild verläuft diese untere Ziegelflucht in den früher schon reparierten Strebepfeiler (ca. 100 Jahre) ein und wurde vom Verfasser als Verwitterungsschutz mit einem Bleiblech abgedeckt. Die obere Begrenzung bildet ein aufwendig gestalteter, grünlich, bräunlich glasierter Dreiviertelformstab mit aufsteigendem, abgestuftem Karnies (kann sehr gut ein Fensterseitenanschlagstein sein), vermauert als Rollschicht. In der Mitte wurde aus acht glasierten Formsteinen die Rosette gemauert. Der Rosettenformstein (mit drei Ecken außen und fünf Ecken innen) wiederum weist eine dreifache Mittelspitze auf sowie zwei kleinere Seitenspitzen (also dreimal die Zahl drei, „Dreifaltigkeit“). Die Zusammensetzung zweier Formsteine ergibt dann eine Dreiblattfläche (Kleeblatt). In der Mitte der Rosette wiederum eine glasierte Backsteinplatte mit einem Tier. Ein Tier bewegt sich von links nach rechts. Das danebenstehende bewegt sich von rechts nach links, so dass sich immer zwei Tiere gegenüberstehen. Putzflächen wohl schon erneuert. So wurde auch der Fries im Südgiebel (siehe oben) ausgeführt. Hier gibt es also schon den ersten Unterschied zum „Schlie“, der von „Löwen“ und „Lilien“ spricht, siehe oben.
(Das Friesfragment der Nordostseite verfügt noch über auf das untere Gesims aufgesetzte dreieckige Platten mit dem Knollenmotiv).

Foto: Berthold Brinkmann

Der Greif (?)
Zuerst und bis jetzt dachte der Verfasser an einen Drachen. Bei näherem Hinsehen interpretiere ich als erste Variante das Tier als Greifen. Körper eines Löwen(allerdings einer nur mit zwei dargestellten Extremitäten), hier gezeigt durch die stilisierten Fellzotteln, Vorderfuß und Hinterbein mit Krallen, langer Schwanz (einer Schlange?). Kopf eines Adlers (?) mit aufgerissenem Schnabel (?), auf einer anderen Platte oberer und unterer Zahn und herausgestreckte Zuge erkennbar, siehe unten), Auge, stilisierte Flügel (kleiner Flügel am Rücken, große Schwinge über dem Schwanzansatz. Die Flügel sind zugegebenermaßen schwer zu erkennen und ihre Form ergibt sich aus dem Material Ton und der Nacharbeit des Zieglers). Etwas untypisch die spitzen Ohren. Obwohl der Greif in eine Platte eingefügt ist, wirkt er sich aufrichtend und kämpferisch. Solch ein von links nach rechts aufsteigender Greif (allerdings, Schnabel eindeutig und Greif mit vier Extremitäten, zwei nach vorn, kämpferisch ausgestreckt)  auch auf der Vicke-Schorler-Rolle gezeichnet. (Witt, Horst, Hrsg. „Die warhaftige Abcontrafactur der See- und Hansestadt Rostock des Krämers Vicke Schorler“, Rostock, Hinstorff 1989).
Das Wappen des Fürsten Heinrich Borwin I von 1219 zeigt einen ähnlichen Greif mit vier Extremitäten. (WIKIPEDIA; Stichwort Rostocker Greif.)
(Otto- Hubert Kost, in der Erklärung des Figurenfrieses am Turm bestimmt er die Einfassungstiere als je einen Greif, „Erläuterungen zum Personenfries an der Westseite des Turms der Marienkirche zu Rostock“, in Mecklenburgia sacra, Bd.15, S.59, 2012.
Der Verfasser dagegen bestimmt diese Tiere als Löwen, da sie keine Flügel haben, wie die Greifen des hier beschriebenen Rosettenfrieses.)

Als zweite Variante könnte man das Tier auch als Lindwurm oder Drachen ansehen. Der Lindwurm wird auch zweibeinig dargestellt, hat ein Maul und keinen Adlerschnabel, hat Ohren und einen Schuppenpanzer und hat oftmals Flügel. Der Lindwurm stellt den Teufel dar.
(Siehe Prof. Dr. Holtz, „Der geistliche Tierkampf“, Sonderdruck, Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Rostock, 3. Jahrgang, Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe, Heft 3, 1954).

Es ergibt sich die Notwendigkeit, alle noch erreichbaren Tierplatten anzusehen und auf die Ausführung zu achten, da von Hand hergestellt, kann es Abweichungen geben, die das Tier vielleicht noch besser kenntlich machen.
Auch sind die Platten danach zu untersuchen, in welche Richtung sich die Tiere bewegen.

Foto: Berthold Brinkmann

Der Löwe
Dem Greifen tritt ein (männlicher) Löwe von rechts kommend, entgegen. Der Löwe brüllt, aus dem aufgerissenen Maul kommt noch etwas heraus (es ist wohl die Zunge). Gut erkennbar die Löwenmähne, der die Luft peitschende lange Schwanz und die vier Beine mit Krallen.

Deutungsversuch:
Beide Tiere für sich genommen sind Symbole für Christus (Sachs, Badstübner, Neumann, Christliche Ikonographie in Stichworten, Koehler& Amelang, Leipzig, 1973, Stichwort Christussymbole, S. 84).
Siehe auch, Erzbistum Bamberg, Christliche Symbole Erläuterungen von Dr. Norbert Jung, Löwe;
Physiologus… Ursula Treu, Artia Verlag Hanau, 1981, S.5, Löwe;
Lexikon der Christlichen Ikonographie, 2. Völlig neu bearbeitete Auflage, Hrsg. Boesten- Stengel…, HERDER, Freiburg im Breisgau Bd.2 S.202, Greif.
Im Physiologus, S.8, wird der Löwe aber auch mit dem Teufel gleichgesetzt. Der hungrige Löwe legt seine Spur (Fährte) als Kreis in seinem Lager und die kleinen Tiere trauen sich nicht diesen Kreis zu verlassen und sie werden angefallen und gefressen. Der heilige Basilius sagt als Deutung: „Sieh nun auch du zu, Mensch, mit deinem Laufen und Herumwandern in diesem irdischen Leben, bleib im Willen Gottes, damit du nicht in die Versuchung des Löwen fällst, das ist des Teufels. Denn der, wenn er sich auch den Menschen nicht zeigt, sucht in den Versuchungen, welchen er verschlingt, wie der Löwe in seinem Lager“.

Der Greif als positiv besetztes Tier und gleichzeitig Rostocker Wappentier kämpft gegen den Löwen, der in dieser Konfrontation das Böse darstellt.
Wenn der Greif aber als Lindwurm (Drachen) anzusehen ist, ist natürlich der Löwe Christus gleichzusetzen.

Aber es ist auch möglich, dass der mittelalterliche Baumeister beide Tiere nur dekorativ gegenüberstellte und beide das Gute und Christus repräsentieren, denn beide sind durch Rosetteneinfassungen voneinander getrennt.

Persönlich wäre mir der „Rostocker Greif“ lieber, als Zeichen der Hansestadt und ihrer Bürger. St. Marien war die Hauptpfarrkirche und der Rat der Stadt hatte dort seine Ratskapelle.

In Zukunft sind, wie skizziert weitere Untersuchungen notwendig, wie zum Beispiel das Verhältnis der Innen- zur Außendekoration (2002 erarbeite der Verfasser eine Aufstellung der im Innern der Marienkirche verbauten Konsolen mit ihren darauf befindliche figürlichen Darstellungen, darunter auch Fabeltiere vieler Art. Diese Arbeit „Kirche Sankt Marien in Rostock - Erste Beobachtungen am mittelalterlichen Bauschmuck aus Werkstein im Innenraum“ wurde nicht veröffentlicht und befindet sich bei den Bauunterlagen im Landeskirchenamt in Schwerin). Aufzunehmen wären auch die glasierten Portalumrandungen aus Backsteinen.

Tierplatte im Südquerhaus
Im Maul (Schnabel) Zähne und herausgestreckte Zunge. Flügel gut erkennbar.
Foto: Berthold Brinkmann

0In der Kirche befindliche Tierplatte, der Löwe streckt die Zunge heraus.
Foto: Berthold Brinkmann

Vergleicht man alle bisherigen Platten sind handwerkliche Unterschiede zu erkennen. ( Plattenmaße, 28 x 27cm, Stärke 7cm).